Auch das gehört zu den letzten Mysterien der Buchbranche, über die kaum etwas zu lesen ist: Was passiert eigentlich in heutigen Zeiten bei den Vertreterbesuchen im Buchhandel? Und wie erlebt ein Vertreter diese heute? LD hat sich auf Recherchereise begeben. Und dankenswerterweise hat der freie Handelsvertreter Mario Max sich bereit erklärt, einmal einen Einblick zu geben, was bei ihm auf der Reise so passiert.
Das Reisegebiet von Max ist Bayern. Deshalb treffen wir uns in Bamberg bei der Buchhandlung Köstner. Insgesamt stehen drei Buchhandlungen unterschiedlicher Größe und in unterschiedlich großen Städten auf dem Plan: Neben Köstner die Buchhandlung Riemann in Coburg und die Buchhandlung LeseZeichen in Kronach, weit hinauf in Oberfranken.
Es ist morgens halb zehn, die Sonne scheint aus allen Knopflöchern, in der Fußgängerzone der schönen Bamberger Altstadt mit dem Kopfsteinpflaster ist das friedliche Klappern der Einzelhändler zu hören. Auch Inhaber Christian Köstner ist noch dabei, die Blickfänge vor dem Laden richtig zu positionieren: Kartenständer, ein Ständer mit Tageszeitungen, der ihm auch die ersten Kundinnen und Kunden bringen wird, ein nostalgisches Fahrrad mit seinem Logo auf einer Platte zwischen dem Mittelgestänge und eine kleine Bank.
Köstner hat seine knapp 100 Quadratmeter große Buchhandlung im Vorderen Graben 6 erst Ende 2020 gegründet, mitten in der Corona-Pandemie mit all ihren Unsicherheiten. Für den erfahrenen Buchhändler, der zuvor in verschiedenen Betrieben gearbeitet hat, war das in der Lebensplanung gerade dran.
Während er noch die Einführung in seinen Laden gibt, klingelt das Telefon. Max wird sich leicht verspäten. Er ist mal wieder Opfer dessen geworden, was wir im Laufe des Tages noch besichtigen können: des Verkehrs. Max kommt aus Nürnberg. Die Autobahnen sind mit dem morgendlichen Berufsverkehr gefüllt.
Wie viele Programme schafft man in einem Gespräch?
Doch dann steht er auf einmal in der Tür. Mit zwei großen Koffern und mit Strahlen im Gesicht. Max hat eine ansehnliche Liste an Verlagen in der Tasche. In alphabetischer Reihenfolge sind das: Atlantis, Herder, Hirmer, Kampa, Kein & Aber, Klinkhardt & Biermann, Laurence King Verlag / Laurence King, Matthes & Seitz Berlin, März, Suhrkamp / Insel, Elisabeth Sandmann und Wagenbach.
Lässt sich tatsächlich über alle Programme reden, habe ich mich gefragt. Köstner holt seinen Stapel Vorschauen raus, der gerade so in beide Hände passt. Überall gucken bunte Marker raus. Zwei der Buchhandlungen, die wir besuchen werden, bestellen direkt aus der Vorschau; die Buchhandlung Riemann hatte zuvor eine TIX-Datei geschickt, die Max später mit der Kollegin vor Ort durchgehen wird.
Man setzt sich um den Couchtisch im Laden, der Computer geht auf. Und dann wird schnell klar: Ja, man kann über alle Programme reden. Im Prinzip. Mit seiner Vorbereitung gibt Köstner den Takt vor. Auch wenn er scherzhaft sagt: „Wenn ich etwas will, ich das aber nicht haben soll, dann rede mir das bitte aus.“ Max lacht, so herum ist das kein guter Job für ihn.
Bei einem Verlag sagt Köstner kategorisch: Davon will ich nichts. Da bleibt einem Vertreter nicht viel, was er noch sagen kann. Vorsichtig weist Max auf den Spitzentitel hin und die Marketingbemühungen. Es bleibt bei einem „Nein“. Er habe die Leserinnen und Leser dafür nicht, ist Köstner überzeugt.
Die obige Vorwarnung von Köstner kommt aber nicht von ungefähr, wie sich später herausstellen wird. Köstner bestellt vorsichtig. Aufgrund nicht so guter Erfahrungen im letzten Jahr muss er auf seine Liquidität achten.
„Drei ist das neue fünf“
Höchstzahl ist drei, meistens gibt es nur „eins“. Später wird Max erzählen, dass das kein Einzelfall sei. „Die Drei ist die neue Fünf“, sagt er. Partien kommen in kleinen Buchhandlungen kaum mehr vor.
Das kleine Regal Kunstbücher hat sich gar nicht gedreht, obwohl Köstner meinte, dafür die Kundschaft zu haben. Damit sind die nächsten Verlage draußen. Beim 150-Euro-Bildband über Pompeji, der im Herbst bei Sandmann erscheint und der keine Nachauflage erleben soll, ringt er sich dann doch zu „eins“ durch.
Bei einem Suhrkamp-Titel sagt er: „Das ist ein schönes Cover und eine unbekannte Autorin, dem gebe ich mal eine Chance.“ Und bestellt - eins.
Einen Verlag hatte Köstner vergessen, vorzubereiten. Überhaupt fällt oft der Satz, „das maile ich Dir nochmal“. Arbeit, die Max dann im Nachgang erledigen muss. Ein Büro zuhause hat Max nicht. Auch wenn er die meisten Bestellungen direkt eingeben kann, bleibt noch einiges zu tun.
Am Ende wird die Zeit knapp. Dann steht dtv-Vertreter Tom Hoymann in der Tür. Er geht noch mal einen Kaffee trinken und ein paar Telefonate erledigen. Als wir draußen sind, treffen wir ihn. Der gelernte Buchhändler Max verdankt ihm seine Karriere als Vertreter, Hoymann hatte ihn ermuntert, die Diogenes-Vertretung für Bayern zu übernehmen. Beide liegen sich in den Armen, versprechen sich, mal wieder miteinander essen zu gehen, und dann geht es weiter.
In der Gesamtschau muss ich kaufmännisch denken
Wir holen uns eine leckere fränkische Bratwurst am Stand und steigen ins Auto. Freie Vertreter wie Max erhalten einen kleinen Prozentsatz vom Verkaufspreis für jedes Buch, das der Buchhändler einkauft, erzählt er mir auf der Fahrt. Die Reduzierung der Lager in den Buchhandlungen hat die Bestellvolumina deutlich verringert.
Auch deshalb wird über den Beruf auch viel geredet und er nicht selten als aussterbend bezeichnet. Vertreterrabatte gibt es auch nicht mehr. „Auch wir haben Nachwuchssorgen“, sagt Max über seinen Berufsstand.
Max muss mehr denn je kalkulieren. Welche Besuche lohnen sich? Wieviel Umsatz lässt sich in der jeweiligen Buchhandlung machen? Wie steht das im Verhältnis zum Aufwand und den Reisekosten?
„Es muss eine Mischkalkulation sein“, sagt er. „Es ist wichtig zu reisen, damit wir die Bücher auf die Fläche kriegen, damit sie sichtbar werden. Das bedeutet dann noch nicht immer gleich Umsatz und eine erfolgreiche Abrechnung. Ich kann schon Reisen planen, wenn die sich ab einen bestimmten Umsatz lohnen. Doch das kann nicht im Sinne des Verlags sein.“ Und schließt: „In der Gesamtschau muss ich aber kaufmännisch denken.“
Beim Vertreterbesuch wird feinjustiert
Die Reise zur 350 Quadratmeter großen Buchhandlung Riemann nach Coburg gehört zu denen, die sich lohnen. Sie liegt in 1A-Lage direkt am Marktplatz in der Innenstadt. Die Buchhandlung empfängt nur einmal im Jahr zur Herbstreise einen Vertreter.
Für Max hat sie sich schon mal mehr gelohnt. Riemann ist Mitglied bei Nordbuch. Die großen Bestellungen gehen direkt nach Süsel nördlich von Lübeck und kommen über das Libri-Lager. Max bekommt dafür keine Provision.
Bei Riemann bestellen die Warengruppenverantwortlichen. Hier treffen wir Ulrike Radecker, die für Belletristik zuständig ist. Mit ihr geht Max die TIX-Datei durch, die sie ihm kurz vorher geschickt hatte.
Sind alle Titel dabei? Hier wie schon zuvor erläutert Max die Programme. Wo die Schwerpunkte gesehen werden, wie sich das Marketing entwickelt, worin der Verlag sonst noch seine Hoffnungen setzt. Er weist auf einen zu vorsichtigen Einkauf hin, obwohl sich das Debüt 120.000-mal verkauft hat.
Unter manchen Büchern in der Vorschau können sich die Buchhändlerinnen und Buchhändler nichts vorstellen, öfter muss Max Bücher vorstellen, das ist wie bei einem Beratungsgespräch in der Buchhandlung. Dann werden Zahlen nach oben oder unten korrigiert. Es wird klar: Im Vertreterbesuch werden Bestellungen nachjustiert und feingetunt.
Trotzdem kommt eine ganz ansehnliche Bestellung zusammen, hier fällt dann schon öfter die Zahl „fünf“. Aber meist bleibt es bei „eins“ und manchmal bei „drei“.
Geben und nehmen
Dann geht es auch schon wieder weiter. Für 17 Uhr ist die Buchhandlung LeseZeichen in dem wunderschönen Städtchen Kronach nördlich von Coburg anvisiert. In dem nicht ganz so strukturstarken Landstrich hält das Buchhändlerpaar Anette und Michael Panhans auf 140 Quadratmeter den Buchverkauf aufrecht.
Anette Panhans ist gut vorbereitet. Die Buchhändlerin weiß, was sie will, kann aber für ihre kleine Buchhandlung auch nicht so viel einkaufen. Sie hat den Stapel Vorschauen vor sich liegen und sagt an. Max gibt die Zahlen in den Computer ein, lächelt.
Ein Wort gibt das andere. Hier gibt es nur wenige Nachfragen. Sie ist begeistert von den Suhrkamp-Krimis. „Die habe ich mir auf den Bauch gebunden, aber keiner kauft sie. Das sind meine Krimis“, sagt sie und guckt ratlos in die Vorschau. Dann gibt sie sich einen Ruck: „Ich kaufe sie trotzdem ein und promote sie.“
Bei einem anderen Titel hat sie eine Anzeige im Börsenblatt gesehen. „Da habe ich schnell ein Exemplar bei Umbreit bestellt, damit ich es beim Vertreter nachordern kann“, sagt sie. Beide lachen, das Ehepaar Panhans hat viel Humor und Herz. Geben und nehmen.
Reklamationen: die unschönen Seiten
Dann zieht sie einen Zettel raus. Bei der letzten Remission einer großen Auslieferung der größeren Verlage in der Tasche sind 20 Euro zu wenig gutgeschrieben worden. Das ist die unangenehme Seite des Jobs von Max.
Schon Köstner hatte sich über dieselbe Auslieferung beschwert. Häufig sind die Bücher in den Kisten nicht sicher verpackt, rutschen ineinander, die Seiten verknicken. Es wird an Packmaterial gespart. Sogar die Umschläge sind beschädigt, hatte er geklagt.
„Darüber mag ich überhaupt nicht gern reden“, sagt Max und doch muss er. Denn die Klagen bekommt er öfter zu hören. „Um das an die Auslieferung zu kommunizieren, müsste ich Nachweise sichern.“ Zeitnahe Fotos von den beschädigten Büchern, Belege mit den falschen Abrechnungen. „Das erfordert einen riesigen Aufwand zu Hause im Büro.“
Diese Gespräche kürzt Max ganz schnell ab. Er regelt die Beschwerden vor Ort unbürokratisch. Meist mit der Erhöhung der Freiexemplare. Die Auslieferung bekommt das nicht mit, aber was die Auslieferung nicht hinkriegt, geht letztlich auf Kosten des Verlags. Wenn das in jeder Buchhandlung so geht, wird da schon ein Posten zusammenkommen. Für Max gilt: „Ich will Bücher in die Buchhandlung bringen.“
So knüllt sich auch der Zettel bei Panhans zusammen. Als wir durch sind, ist fast Ladenschlusszeit. Es wird kurz aufgeräumt, der Schlüssel dreht sich in der Ladentür und dann geht es gemeinsam zum Essen. Dort geht dann der Austausch fröhlich weiter.
Um halb zwölf fallen wir ins Bett. Um halb acht verabreden wir uns zum Frühstück. Reisezeit ist wie Weihnachtsgeschäft, nur zweimal im Jahr.
LD