Vor zwei Monaten war es dann soweit. LD durfte den heiligen Gral einer Erfa-Gruppe betreten. Die Zustimmung hatte Betriebsberaterin Gudula Buzmann (LOESUNG) organisiert, die bereit war, dem Herausgeber mal einen Einblick zu geben, was bei einem solchen Treffen denn eigentlich passiert und welche Themen aktuell oben auf der Liste stehen. Lohnt sich eine Teilnahme?
Noch nie war die Branchenpresse bei einer Erfa-Gruppe zugelassen. Dass die acht Mitglieder der Gruppe BWL-Praxis Süd von Gudula Buzmann zustimmten, ist ein großer Vertrauensbeweis. Sie ist eine von insgesamt drei Erfa-Gruppen, die die erfahrende Branchenkennerin und Autorin zahlreicher Titel im Bramann-Verlag betreut.
Das Programm war ambitioniert, und es lief auch gleich zu Beginn aus dem Ruder. Allerdings durchaus kalkuliert: Zu groß war das Bedürfnis, sich auszutauschen. Auch das gehört zu den Ausläufern der Corona-Krise. In dieser Zeit hatte man sich alle acht Wochen per Videokonferenz getroffen, um die Entwicklungen miteinander zu besprechen. Der Ausstieg aus der Corona-Krise sorgt genauso für Gesprächsbedarf wie das Überleben in deren Verlauf.
Andererseits brennt auch viel unter den Nägeln: Energiekosten, Fachkräfteaufwendungen und -bedarf, Standortaussichten bzw. Stadtkonzepte standen unter anderem auf dem Programm. Für ganze 30 Minuten. Dann hätte es schon weitergehen sollen, unter anderem mit Anti-Stress-Intervention und vielen weiteren Themen.
Besichtigung einer neuen Filiale
Es begann mit dem gemeinsamen Besuch in der dritten Filiale der Buchhandlung Tolksdorf, die in Hofheim am Taunus zwischen Mainz und Frankfurt ihren Stammsitz hat. Inhaberin Kim Otto hatte im August 2021 die Buchhandlung Herr in Kelkheim knapp 10 Kilometer nördlich übernommen. Da Otto die Gastgeberin war, bot das erstmals die Gelegenheit, die neue Filiale unter die Lupe zu nehmen.
Neben einer grundsätzlichen Begeisterung für viel Platz in der Mitte des nur ca. 40 Quadratmeter großen Verkaufsraums fanden die neue, dezente Farbe der Regale in Grau mit den farbigen Rückwänden und die aufgeräumte Präsentation der Ware große Anerkennung. Doch dann folgten die Fragen im Detail: Wieviel Ware muss an einem Ort im Laden vorrätig sein? Was macht man mit den Regalen, wenn sie so hoch sind, dass die Kundschaft an die obersten Fächer nicht mehr herankommt, aber man dort auch kein Lager aufbauen will? Welche neuen Sortimente sollen Einzug erhalten und welche gibt man auf?
Zentrales Thema: Standortsicherung und -entwicklung
„Themenschwerpunkte, die immer wieder in der Agenda auftauchen, sind die Standortsicherung und Standortentwicklung und in der Folge die Sortimentsänderungen im Zuge der Standortentwicklung“, so Buzmann im Nachgespräch. „Natürlich kommen auch die Zahlen aus den BWAs und ggf. aus anderen Quellen – Betriebsvergleich, interne Statistiken – auf den Tisch. Außerdem interne Organisation und Kostenmanagement, Kaufverhalten, Marketing, Webshop-Individualisierung.“
Im anschließenden Gespräch in den großzügigen Besprechungsräumen der Buchhandlung Tolksdorf in Hofheim lieferte Simone Brög von LOGO Bücher und mehr das Beispiel. Wenn gegenüber drei Läden schließen, dann ist es kaum verwunderlich, wenn ab 17 Uhr immer weniger Kundschaft vorbeikommt. Was also tun?
Brögs Antwort ist die Offensive: Sie will mit einem Veranstaltungsprogramm mehr Leben in ihre Stadt bringen. Sie hat gemerkt: Während die Alten zunehmend online kaufen, entdecken Familien wieder stärker den Laden. Dort können Kinder die Buchvielfalt auch haptisch wahrnehmen. Der Einkauf wird zum Erlebnis.
Doch die Frage ist: Wer in der Stadt zieht mit? Ist das nicht etwas, bei dem sich die Politik der Stadt einklinken müsste? Sollte kulturelles Engagement, auch wenn es privatwirtschaftlich organisiert wird, gefördert werden? Wie lässt sich das ansprechen?
Eigenen Standort immer wieder definieren
Christina Müllender, die die Buchhandlung Wortreich in der Villa Herrmann in Gustavsburg übernommen hat, hat erstmals ihren Standort neu definiert. Bisher wurde die Buchhandlung als kulturelles Zentrum in der Mitte verschiedener auseinanderliegender Gemeinden verstanden. Müllender hat darunter einen Schlussstrich gezogen. „Wir sind eine Dorfbuchhandlung“, sagt sie jetzt fröhlich selbstbewusst.
Damit habe sich vieles vereinfacht: Sie spricht jetzt verstärkt junge Familien an, macht freitags Kinderveranstaltungen, zu denen bis zu neun Kinder erscheinen, und spricht die Lehrerinnen der zahlreichen Grundschulen an. Und dann hat sich ein Marketing entwickelt, das individueller nicht sein kann: Eine zufällig gestaltete Wichtelgeschichte für Instagram wurde zu einer selbstlaufenden Fortsetzungsgeschichte. Der Wichtel erlebt im Jahreslauf mit Aktionen und Neuerscheinungen immer neue Geschichten und viele der jungen Kundinnen und Kunden wollen wissen, was als nächstes passiert.
Mit einer anderen Art von Standortveränderung hat Lisa Seufert, gemeinsam mit Stefanie Bellroth Inhaberin der Buchhandlung BiNO in Nieder-Olm, zu tun. Als der Nachbarladen aufgeben musste, hat sie kurzerhand ihre Geschäftsräume erweitert – ohne viel weiteres Sortiment aufzubauen. Aus 90 wurden 150 Quadratmeter. Dabei hat sie das Kinder- und Jugendbuch um 40 Quadratmeter vergrößert und mehr Platz für die Kalenderpräsentation eingeräumt.
Ähnlich bei Lisa Schumacher, die vor einiger Zeit die Steinmetz’sche Buchhandlung in Offenbach übernommen hat. Zu ihrer Fläche gehört ein Tiefparterre, das über Jahrzehnte vor allem antiquarische Bücher beherbergte. Dies hat sie letztes Jahr ausbauen lassen, um dort noch vor Weihnachten ein großes Sortiment mit ausgewählten Nonbooks anzubieten. „Denn dies gibt es im Ort nicht mehr.“
„Das habe ich ganz bewusst von den Büchern getrennt“, sagt Schumacher. Und das Kalkül ist aufgegangen. „Das Weihnachtsgeschäft war Bombe“, berichtet sie. Das Sortiment hat sie zusätzlich über Instagram beworben und sie hat dann noch viele Versandtaschen packen müssen.
Lisa Stöhr, Inhaberin der Büchergilde Buchhandlung und Galerie in Frankfurt, freut sich immer noch über einen großen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über ihre Spätlese-Aktion, die andere Buchhandlungen „einschließen und genießen“ nennen. Seit längerem bietet sie dazu Gutscheine an. Diese werden bisher schon zu allen möglichen Anlässen kreuz und quer in der Kundschaft verschenkt und sichern ihr die Finanzierung. „Jetzt werden die Gutscheine nicht mehr nur von unserer Kundschaft verschenkt, sondern auch ganz viele neue Leute sind dadurch auf uns aufmerksam geworden“, sagt sie.
Wie unterschiedlich Standorte sein können, erlebt Anna Doepfner, die seit 2016 die Buchhandlung Bergen erlesen führt. Sie hat eine weitere Buchhandlung in Frankfurt übernommen, die sie in Sachsenhausen erlesen umbenannt hat, und muss nun beide Unternehmensteile zusammenbringen.
Sie berichtet, wie unterschiedlich die Buchhandlungen entsprechend der Lagen sortiert sind. Im neuen Laden führen die übernommenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine große Sachbuchabteilung, die in Bergen überhaupt nicht funktionieren würde. Während in Bergen ein schönes Nonbook-Sortiment gut geht, hat dies in Sachsenhausen überhaupt keinen Platz. Und da die beiden früheren Eigentümer nun nicht mehr im Laden sind, stellt sich auch für Doepfner die Frage nach der Besetzung der Ladenöffnungszeiten. Wie lange muss eine Stadtteilbuchhandlung offen sein?
Bürokratie als Wettbewerbsfaktor um lebendige Innenstädte
Doch es ging nicht nur um Erbauungsgeschichten. Kim Otto hatte in ihrem Hauptgeschäft, der Buchhandlung Tolksdorf in Hofheim, in der sich die Erfa-Gruppe traf, Besuch vom Arbeits- und Brandschutz der Stadt. Eine ganze Liste an Auflagen lag am Ende auf ihrem Tisch.
Das Abarbeiten der Liste muss sie mit ihrem Vermieter ausfechten, nicht für alles ist sie zuständig. Hinzu kommen die Arbeitszeiterfassung und andere Dokumentationspflichten und viele technische Anforderungen im Alltag rund um elektronische Geräte. Natürlich will auch Otto Sicherheit für ihre Kundschaft, doch „diese ganze Bürokratie verleidet mir zunehmend den Beruf“, sagt sie frustriert.
Auch dies könnte im weitesten Sinne eine Standortfrage sein. Wollen Bürgermeister einzelhändlerische Lebendigkeit in der Stadt, müssen sie sich fragen lassen, was sie denn den Unternehmerinnen und Unternehmern anbieten. Das Schmalhalten der Auflagen, die leichte Umsetzung der Anforderungen, unterstützt durch entsprechende Hilfestellungen, dürfte ein Wettbewerbsmerkmal bei der Standortfrage sein.
Was bringen Erfa-Gruppen?
Doch welchen Sinn haben Erfa-Gruppen? Auch wenn die Berichte von kleinen und größeren Erfolgen erzählen, entstehen sie in einem zunehmend aufreibenden Alltag mit Routine-Arbeiten. Schon deshalb sind es Motivationsgeschichten. Dabei mischen sich aber auch oft Selbstzweifel darunter. Wie wirkt sich das aus? Was bringt das am Ende in der Kasse? Und wo muss nachjustiert werden?
„BWL-Praxis ist die Bezeichnung für eine Art der Erfa-Gruppe, die sich bewusst und immer wieder auf die Verbindung zwischen ‚objektiven‘ Zahlen und ‚Bauchgefühl‘-Erfahrungen aus dem Handelsalltag konzentriert“, so Buzmann. Denn: „Auch vermeintlich objektive Zahlen können in die Irre führen, während vermeintliches Bauchgefühl Strömungen ahnt, die sich erst später in Zahlen niederschlagen.“
Ohne zusätzliche Kosten für die Teilnehmenden wirft Buzmann auf Wunsch monatlich einen Blick auf die Zahlen und meldet sich bei Auffälligkeiten. „So können ungute Entwicklungen früh erkannt und entschärft werden, gute Entwicklungen werden durch flankierende Maßnahmen verstärkt“, sagt sie.
So zahlenaffin LD auch ist, hier endet die Teilnahme für Herausgeber Matthias Koeffler. Wie sich Aktionen und Hoffnungen, Wünsche und konkrete Ideen am Ende in Euro und Cent niederschlagen, besprechen die Teilnehmerinnen unter sich. Dies dürfte entscheiden, woran weitergeschraubt wird oder vielleicht wie. Es ist nicht nur das Lesen schöner Bücher, was den Beruf ausmacht und womit der Buchhandel werben kann, sondern auch der Spaß an lebendigem Unternehmerinnentum.
Wer weitere Fragen zur Erfagruppenarbeit hat:
LOESUNG