Wer auf die Buchhandlung Bräunling in dem 22.000-Einwohner-Ort Puchheim zugeht, kann hinten gleich wieder rausgucken. Die 100-Quadratmeter-Fläche mit ihrer zweiten Glastür hinten ist schnell überblickt. Zu sehen ist eine ganz normale Stadtteilbuchhandlung im Vorort von München: praktisch, versorgend und hell. Soweit normal. Nun wurde dieser kleine Laden Bayerns Buchhandlung des Jahres.
Was die Buchhandlung ausmacht, wird am Abend auf der Bühne des Puchheimer Kulturzentrums während der Preisverleihung deutlich. Das Erste ist, dass es sich der Bürgermeister nicht nehmen lässt, zusammen mit Inhaberin Nicola Bräunling in einer Art Talkshow auf die Geschichte von 15 Jahren Buchhandlung in Puchheim zurückzublicken. Denn dieses Jubiläum feiert Bräunling auch gleich noch mit.
Das Zweite ist die Art, wie Bräunling über die wohl prägendste Aktion berichtet, die sie letztes Jahr mit aus der Taufe gehoben hat: das Kochbuch Komm in meine Küche, das der Verlag GU schließlich in sein Programm aufgenommen hat. Es ist ein Projekt, mit dem in der oberbayerischen Stadt die Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern an einen Esstisch geholt werden sollten: Herausgeberin und Herausgeber haben die Lieblingsrezepte von Bewohnerinnen und Bewohnern aus allen Ländern gesammelt und die Zubereitung sowie die fertigen Gerichte in den Küchen der Beteiligten fotografiert.
„Als die beiden Herausgeber auf mich zugekommen sind und mich gefragt haben, ob ich da mitmachen will, habe ich natürlich ‚ja‘ gesagt“, berichtet Bräunling und betont das Wort „natürlich“. Dann fährt sie fort: „Und als es um die Frage der Umsetzung ging, da hatte ich Plan A, Plan B und Plan C. Plan A war, wir finden einen Verlag, der das macht. Plan B war, wir machen das im Selfpublishing. Und Plan C war, ich bezahle die Druckkosten selbst.“
Es sind die Vernetzungsaktionen der Sortimenterin, die diesen Laden ausmachen: zugewandt, immer offen für eine gemeinsame Sache, pragmatische Lösungen findend und anpackend. Dabei scheut sie auch kein Risiko.
Gute Beziehung zu Puchheim
Das beruht wohl auf Gegenseitigkeit: „Puchheim und ich haben immer eine gute Beziehung zueinander gehabt“, sagt Bräunling. Das ist nicht selbstverständlich, denn Bräunling ist gebürtige Hamburgerin. Obwohl sie schon früh mit ihren Eltern nach Bayern gekommen ist, hört man vom oberbayerischen Dialekt nichts.
Und bevor sie 2006 startete, konnte sie sich erstens nicht vorstellen, dass sie mal eine eigene Buchhandlung haben würde und zweitens, dass diese so beliebt werden würde. Die gelernte Industriekauffrau hat sich in Marketing und Kommunikation weiterbilden lassen und im Direktvertrieb gearbeitet. Schließlich war sie in der Buchhandlung Nagel gelandet, die jetzt von Silke Nagel weitergeführt wird.
„Als ich arbeitslos war, saß ich bei meiner Friseurin Susi und die sagte, kommt doch zu uns nach Puchheim. Puchheim könnte noch eine Buchhandlung gebrauchen“, erzählt Bräunling. Im Juni 2006 gab sie ihren Businessplan ab, am 13. November eröffnete sie ihre Buchhandlung.
Heute macht sie etwas mehr als 500.000 Euro Umsatz. Den braucht sie auch. Einerseits hat Puchheim eine der höchsten Kaufkraftklassen, so dass die Buchhändlerin vor der Tür nicht einmal mit Modernem Antiquariat punkten kann. Andererseits sind die Mieten in 1A-Lage der beliebten Schlafstadt hoch und fordern 6 Prozent vom Umsatz. Doch das jährliche Renditewachstum hat die Kauffrau bei allen Aktionen fest im Blick.
Ein zeitlos praktischer Laden
Wie an einer Perlenkette reihen sich die Läden in den Zweckbauten der Lochhauser Straße auf. Puchheim wirkt wie ein ganz normaler Vorort und hat auch seinen sozialschwachen Bevölkerungsteil und ein Flüchtlingsheim. Bei der Entwicklung des Ladens war Bräunling wichtig, keine Schwellenangst zu erzeugen. Im Sommer legt sie manchmal kleine Figuren, zum Beispiel Krebse, durch die offene Tür aus, die aussehen, als ob sie in den Laden wandern.
Die Einrichtung ist noch die aus der Anfangszeit, doch sie hat etwas modern Zeitloses: weiße Regale mit breiten Seitenteilen und anthrazitfarbenen Präsentationseinsätzen. Wärme bringen die Ablageflächen, die in Holzton gehalten sind und die roten Tische und Sitzmöbel vor dem grauschwarzen Bodenbelag schaffen Aufmerksamkeit.
Natürlich hat Bräunling als vollversorgende Buchhandlung zunächst ein Mainstream-Angebot, das zu gut einem Viertel aus Belletristik und zu einem Fünftel aus Kinder- und Jugendbuch besteht. Dennoch versucht sie, auch die Nischen zu pflegen. „Ich habe Bücher von einer ganzen Reihe unabhängiger Verlage. Was ich gut finde, das bekomme ich auch verkauft“, sagt sie. Und nicht zuletzt pflegt sie auch ein Klassiker-Regal. „Da stehen oft Jungs davor“, berichtet sie. Klassiker heißt vor allem: Hesse, Lenz und Böll.
„Leseförderung ist hier ein ganz schwieriges Kapitel“, sagt Bräunling. Ganzjährig finden bei ihr Vorleseaktionen statt, sie holt Autorinnen und Autoren in die drei Grundschulen, richtet Vorlesewettbewerbe an der Realschule aus und ist in diversen Kindergärten engagiert. Sie will gern auch die jungen Menschen im Flüchtlingsheim erreichen.
Verlängerung nach außen auf vielen Kanälen
Was ihr vor allem gelingt, das merkt man auch am Abend der Preisverleihung, ist, den durchschnittlich großen Laden nach außen zu verlängern. Zum einen durch pfiffige und vernetzte Aktionen, die sich scheinbar immer wie natürlich ergeben:
Zum anderen erreicht Bräunling ihre Kundinnen und Kunden über die Sozialen Medien. Über 1000 Followerinnen und Follower hat sie jetzt auf Facebook, wo sie neben Instagram aktiv ist. Auch da überlässt sie nichts dem Zufall und dafür hat sie auch ein Konzept. Morgens wird geplant, was am Tag gepostet werden könnte. Wichtig: „Nicht zu viel Privates“. Urlaubsbilder selten. Und: Diese Marketing-Arbeit kostet auch Zeit. Die Zeit müsse man aber eben einplanen, sagt sie.
„Ich sehe das als Kundenbindungsinstrument“, so Bräunling. Damit erreiche sie eine stete Identifikation mit dem Laden. Und doch kommt auch immer wieder direkter Umsatz zustande, zum Beispiel bei einem neuen Asterix. Noch mehr verkauft sie über den Whatsapp-Status. „Es ist beeindruckend, was da möglich ist. Ich empfehle sehr, sich das mal anzusehen“, erzählt sie.
Das alles sind nicht nur wilde Aktionen, sondern Bräunling weiß sie immer zu einem Ganzen zusammenzubinden und in das Ganze einzuordnen. Und sie gehen nicht auf Kosten der Rendite. Und in den Kooperationen wird auch der Zeitaufwand verteilt, so dass immer auch noch eigene Zeit bleibt.
Buchhandel im Stadtteil, der mit der Großstadt konkurriert, ist vor allem Buchhandel, der eine Heimat gibt und Menschen zusammenbringt, die sonst anonym aneinander vorbeilaufen. Egal, wie groß der Laden ist. Wer vorn in den Laden kommt, weiß, dass man hinten rausgucken kann und für sein Anliegen eine Perspektive hat.
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LD