Es war ein aufregender Tag für die Organisatoren von Langendorfs Dienst und Betriebsberaterin Ellen Braun gestern auf der Leipziger Buchmesse. Die Deutsche Bundesbahn wirbelte alle Planungen der Veranstaltung durcheinander, die am Nachmittag unter dem Motto „Wohin? Läuft? die? Kundschaft?“ geplant war. Am Ende fand sie trotzdem statt, wenn auch in geänderter Reihenfolge, und begeisterte die Zuhörer.
Der Zug von Key Note-Speaker Gerrit Heinemann blieb bei der Anreise kurz vor Halle auf der Strecke stehen. Immerhin hatten alle anderen Referenten mehr Glück bei der Anreise und konnten eine spannende Diskussion vorziehen. Diese versuchte Bilanz zu ziehen: Welche Projekte zu Belebung von Innenstädten funktionieren? Was hat sich bewährt? Wo gab es Schwierigkeiten und was hat man gelernt?, hießen die Fragen, die auf dem von der Leipziger Buchmesse unterstützten Podium gestellt wurden.
Wirtschaftsförderer Thomas Becken aus Elmshorn berichtete, dass in dem Mittelzentrum von 52.000 Einwohnern bereits das vierte BID-Projekt läuft. Mit dem Entwicklungsprojekt können Vermieter in der Gesamtheit zu Zahlungen gezwungen werden, wenn eine Mehrheit sich für ein bestimmtes Projekt, wie zum Beispiel eine gemeinsame Weihnachtsbeleuchtung aussprechen. Damit entstehen planbare Budgets. Das sei sehr erfolgreich und habe bereits viele Probleme gelöst, über die in anderen Städten lange gestritten werde. Aus seiner Sicht gehöre das Thema Einzelhandel in der Innenstadt mit höchster Priorität auf die Agenda jedes Stadt- und Gemeinderates.
Man muss hartnäckig sein und dürfe sich nicht in die Bittstellerrolle drängen lassen, empfahl Buchhändlerin Verena Schiffner, die in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende der Werbegemeinschaft der 12.000-Einwohnerstadt Köthen auf dem Podium saß. „Sie müssen den Politikern auf Augenhöhe begegnen und Ihre Forderungen stellen“, riet sie den Zuhörern.
Bettina Zobel, vom Stadtmarketing in Bochum berichtete unter anderem über den Zusammenschluss der Bochumer Originale, einer Gruppe von Einzelhändlern. Sie räumte der Zukunft des Online-Handels in der Stadt eine große Zukunft ein. „Bei der Eröffnung einer neuen Saturnfiliale in Bochum hieß es seitens des Unternehmens, 50 Prozent der Online-Bestellungen würden in der Filiale abgeholt. Eine große Chance.
Roman Heimbold von Atalanda erläuterte das Prinzip von Online-Marktplätzen in Innenstädten. Derzeit gäbe es viele Initiativen, die aber auf sehr unterschiedlichem Level arbeiten würden. Ein Online-Marktplatz könne nur so gut sein, wie das Engagement der Protagonisten, die daran teilnehmen. Die Angebote müssten ständig weiterentwickelt werden.
Gerrit Heinemann, Professor für Management an der Hochschule Niederrhein hatte nach seinem glücklichem Eintreffen noch Zeit, 10 Thesen zu erläutern, wohin sich der Einzelhandel entwickeln müsse. Nicht ohne ausführlich aus seiner Forschung im eWeb Research Center zu berichten.
Ein Haufen Zahlen aus verschiedensten Untersuchungen zeigten ein kompliziertes Geflecht von verschiedenen Vertriebskanälen, die Kunden schon jetzt nutzen bzw. in Zukunft nutzen könnten. Er beklagte, dass der stationäre Einzelhandel Amazon zu wenig entgegensetze. „Wir haben es zugelassen, dass Amazon den Markt abräumt und als nächstes lassen wir die chinesischen Internethändler rein und bieten ihnen den restlichen Markt an“, sagte er. Die stünden bereits tiefer im deutschen E-Commerce-Geschehen als viele das wahrnehmen.
Er überraschte die Zuhörer zudem mit der Aussage, dass es keinen demografischen Wandel gebe, stattdessen sei die Generation Y und Z schlichtweg vergessen worden. Diese kaufe längst nicht mehr per Online-Shop ein, sondern per App, zum Beispiel auf Wish. Für die Jugend sei der Kauf dort zu einem Erlebnis geworden, die Käufe werden vielfach an internationale Verkäufer mit dem günstigsten Angebot vermittelt, meist nach China. Die Fachwelt spreche deshalb bereits von Wish-Browsing. "Der Verkauf über App ist die Zukunft im E-Commerce", sagte er.
Seine Forderung: den Kunden, solange er in der Innenstadt einkauft, ernst zu nehmen. „Es nützt nichts, an seinen Idealismus zu appellieren“, sagt er. Gleichzeitig hätten Untersuchungen gezeigt, dass Kunden das Wort "Erlebniskauf" nicht kennen würden. „Gekauft wird nach Bedarf“, so Heinemann.
In seinen 10 Thesen forderte er unter anderem, eine flexiblere Handhabung der Öffnungszeiten und größtmögliche Convenience für den Kunden. „Sie müssen es ihm so einfach wie möglich machen und den Anzug nach Hause bringen, wenn es sein muss. Der Händler vor Ort hat die Möglichkeit den Kunden mit Empfang des Päckchens probieren zu lassen und kann sicherstellen, dass dieser das richtige Produkt erhalten hat. Evtl. kann er den Umtausch sofort und damit schneller als bei einem Internethändler zu organisieren“ erläutert er. Der stationäre Handel habe die Chance, bei der letzten Meile gegenüber dem E-Commerce zu punkten.
Außerdem müsse WLAN in der Stadt zur Selbstverständlichkeit werden und: „Sie müssen die Kommunalpolitik packen und rütteln. Läden gehören in die Innenstadt und nicht auf die grüne Wiese“, fordert er. Doch die Städte könnten noch deutlich weitreichender umdenken: „Vielleicht sollten auch sie überlegen wie sie kooperieren könnten. Nicht jede muss eine Einkaufsstadt sein. Besser eine schöne Schlafstadt als eine schlechte Einkaufsstadt“, so Heinemann.
LD